Starsopran und schwedischer Graf
Sena Jurinac und Erik Sparre

Erik Sparre ist mein persönlicher Freund seit 1956. Unaufhörliche Telefonate. In der Zeit der Vinyl-Platte alles über Oper. Immer hat er mir erzählt über seine Kontakte mit der Sängerin Sena Jurinac.

Sena Jurinac als Oktavian im „Rosenkavalier“ von Richard Strauss.

TEXT: Ingemar Schmidt-Lagerholm

Sena Jurinac (1918-2011) hat eine umfangreiche internationale Diskographie als lyrische Sopranistin mit exceptioneller Fülle und dramatischem Ausdruch. Für die, die Video vorziehen ist die Auswahl relativ gering. An erster Stelle die Bergsche Marie (Wozzeck) aus einer Serie mit Aufnahmen von Rolf Liebermann in Hamburg 1970. Der Modernist der Schoenbergschule Bruno Maderna dirigiert hier, der Protagonist Wozzeck ist Tony Blankenheim. Verdis Desdemona singt Jurinac deutsch mit Wolfgang Windgassen als Othello. Den Straussschen Komponisten aus Ariadne gab sie unter dem Dirigat von Karl Böhm.

Als Anrede verwendet Shakespeare (um 1600) das singular-Pronomen thou (du), dem (nach Reform) modernen schwedischen “du” naheliegend. Die pronomina thou (du) und thee (dich) waren dem damaligen Publikum weder gekünstelt noch altertümlich. Aus unnötiger Eifersucht tötet Otello/Othello seine Frau Desdemona. Was er im Original zu allerletzt äußert ist “I kiss’d thee, ere I kill’d thee. Killing myself, to die upon a kiss.” Otello/Othello ist gerade eingedrungen in „a Bedchamber of the Castle“. Desdemona (Sena Jurinac) versteht und reagiert.

Sena Jurinac als Desdemona in Verdis Otello/Othello

Wenig fürs Auge, eine Unmenge exklusiv fürs Ohr. Wo anfangen? Was empfehlen? Vielleicht in Stockholm mit dem formidablen Testament Richard Straussens an seine Nachwelt, vom Verlag „Vier letzte Lieder“ benannt. Sena Jurinac, Konzertverein Stockholm am 6. Mai 1951 (20 Minuten) Dirigent Fritz Busch. Eine Interpretation, an die man sich erinnert, wenn auch nicht in HiFi.

Diese vier Lieder haben folgende Texte:


Richard Strauss: Vier letzte Lieder (1948)

FRÜHLING 

(Text: Hermann Hesse)

  1. In dämmrigen Grüften träumte ich lang
  2. von deinen Bäumen und blauen Lüften,
  3. von deinem Duft und Vogelsang.
  4. Nun liegst du erschlossen in Gleis und Zier
  5. von Licht übergossen wie ein Wunder vor mir.
  6. Du kennst mich wieder,
  7. du lockst mich zart,
  8. es zittert durch alle meine Glieder
  9. deine selige Gegenwart.

BEIM SCLAFENGEHEN (Läggdags)

(Text: Hermann Hesse)

  1. Nun der Tag mich müd gemacht
  2. Soll mein sehnliches Verlangen
  3. freundlich die gestirnte Nach
  4. wie ein müdes Kind empfangen.
  5. Hände laßt von allem Tun,
  6. Stirn vergiß du alles Denken,
  7. alle meine Sinne nun
  8. wollen sich in Schlummer senken
  9. Und die Seele unbewacht,
  10. will in freien Flügeln schweben.
  11. um im Zauberkreis der Nacht
  12. tief und tausendfach zu leben.

SEPTEMBER (Brittsommar)

(Text: Hermann Hesse)

  1. Der Garten trauert,
  2. kühl sinkt in die Blumen der Regen.
  3. Der Sommer schauert
  4. still seinem Ende entgegen.
  5. Golden tropft Blatt um Blatt
  6. nieder vom hohen Akazienbaum.
  7. Sommer lächelt erstaunt
  8. und matt in den sterbenden Gartentraum.
  9. Lange noch bei den Rosen bleibt er stehn,,
  10. sehnt sich nach Ruh.
  11. Langsam tut er die müdgewordnen Augen zu.

IM ABENDROT (Aftonrodnaden)

(Text: Joseph von Eichendorff)

  1. Wir sind durch Not und Freude
  2. gegangen Hand in Hand;
  3. vom Wandern ruhen wir
  4. nun überm stillen Land.
  5. Rings sich die Täler neigen,
  6. es dunkelt schon die Luft.
  7. Zwei Lerchen nur noch steigen
  8. nachträumend in den Duft.
  9. Tritt her und laß sie schwirren,
  10. bald ist es Schlafenszeit,
  11. daß wir uns nicht verirren
  12. in dieser Einsamkeit.
  13. O weiter, stiller Friede!
  14. So tief im Abendrot.
  15. Wie sind wir wandermüde –

Ist dies etwa der Tod?


Bald nach dem Stockholmer Konzert 1951 zogen Busch und Jurinac zum sommerlichen Glyndebourne. Idomeneo von Mozart stand auf dem Programm. Was da wirklich geschah werden wir wohl nie erfahren. Premiere am 28 Juni 1951 (im englischen Rundfunk gesendet) mit Birgit Nilsson als Mozarts Elettra. Birgit Nilsson hat aber ziemlich direkt danach ihr Ensemble verlassen. Zurück nach Südschweden und Västra Karup. Was sie darüber in ihren Memoiren drucken läßt, ist nicht glaubwürdig. Ein geplantes Idomeneo-Projekt fürs berühmte Studio Abbey Road (The Beatles) mußte daraufhin geändert werden.

Auf Covent Garden (London) sang Sena Jurinac Beethovens Fidelio unter Otto Klemperer. Zu der damit zusammenhängenden Studioproduktion war sie aber nicht eingeladen. Später im selben Jahr, 1961, hat Sena Jurinac jedenfalls unter Hans Knappertsbusch in München bei einer vollwertigen Studio-Aufnahme die Titelrolle ausgeführt.

Am bemerkenswertesten ist jedoch der „Rosenkavalier“ (Wien Herbst 1954) unter Erich Kleiber, Vater. Zum ersten Mal die Partitur wortwörtlich vollständig, vulgär und obszen zugleich. Der/die Octavian ist eine wahrhafte Reinkarnation der Hosenrolle des androgynen Cherubino bei Mozart (Figaros Hochzeit). Alle andere Schallplattenversionen wirken im Vergleich bleich und maniriert. Leider ist die Aufnahme nur in Mono, erst im Jahre danach (1955) hat es so richtig mit Stereo angefangen.

Erik Sparre, Doktor der Juris Prudenz, Graf von Kronovall

ist mein persönlicher Freund seit 1956. Unaufhörliche Telefonate. In der Zeit der Vinyl-Platte alles über Oper. Immer hat er mir erzählt über seine Kontakte mit der Sängerin Sena Jurinac: Briefwechsel, Telefon. Gekrönt von einem Treffen zwischen dem Kenner der klassischen Musik (und wahrlich des Gartenbaus) und der eminenten Sängerin. Sicher hat er sie auch mit seinen fleißigen Fingern und sicherem Gehör am Klavier begleiten können.

Überhaupt gar nichts sprach dafür, daß Erik Sparre mit den südschwedischen Altnazis in der Umgebung seines geschiedenen Vaters sympatisierte.

Im Jahre 1962, auf Besuch in Kronovall: Klassische Schallplattenfreunde (Diskophile)
aus der Uni-Stadt Lund. Von links:
Bengt Sjöman, hat als Philosoph mit psychologischen Romanen von Iris Murdoch gearbeitet
Thorsten Lunderquist, Richter, Stadtjurist von Malmö
Ingemar Schmidt-Lagerholm, Schwedischlektor, Kulturjournalist
Erik Sparre, Dr Jur, Graf, Pianist. Tod des Zwillingbruders im April 1962. Trauerflor.
Bertil Cavallin (1934-2015), hervorragender Latinist, geschätzter Mentor des Blogs,
          später Suicid, nicht im Stande seine Homosexualität zu akzeptieren.
1962 im Schloßpark Kronovall (im äußersten Südosten Schwedens) wird eine Szene aus der Oper „Falstaff“ (1893) von Giuseppe Verdi (1813-1901) „gestaltet“. Es wachsen Hörner auf der Stirn – mit der verbreiteten Bedeutung: deine Ehefrau betrügt dich sexuell. Die übrigen Diskophilen im freien Licht werden vergnügt und erschrocken. (von links: Thorsten Lunderquist, Bertil Cavallin, Bengt Sjöman, Erik Sparre)
Italienisch RIVERENZA // REVERENZA bedeutet EHRERBIETUNG. Gleichzeitig ein mündlicher Gruß und eine Bewegung mit den Füßen. Das große Wörterbuch ”Lo Zingarelli“ (Ausgabe 2015) besagt folgendes: inchino, genuflessione o cenno di genuflessione in segno di deferenza (fare una profonda riverenza) Verbeugung, Kniefall, oder Zeichen des Kniefalls, Ehrfurcht zeigend (eine tiefe Reverenz machen).
Zeichnungen im Original aus Orchesography (1589). Reverenza rechts beziehungsweise links.

Die Reverenza-Situation kommt ein paar Mal in Verdis Oper Falstaff vor: Mistress Quickly in der ersten Szene des zweiten Aktes (ps 140, ls 78) und in der ersten Szene des dritten Aktes (ps 322, ls 124).
ps = Partitur Seite; ls = Libretto Seite (Dietmar Holland)

Die eigentliche englische Shakespeare-Zeit (Elisabethanische Ära) ist die Zeit um 1600. Verdis „Falstaff“-Oper hat einige Allusionen. Die Bewegungen für den Tanz waren an allen Höfen strengstens reguliert. Aus dem Jahre 1589 gibt es darüber das Buch Orchesography, wo die Tänze, auch mit Zeichnungen, genauestens dargestellt werden. Die Noten dazu gab es in Amsterdam bei Tielman Susato, zu dieser Zeit meistens schon vierstimmig gedruckt. Solche Musik gedeiht wieder in unserer Zeit bei den Joculatores Upsaliensis (Sven Berger) und ”Flöjtfolket” (Bengt Hermansson).

Der dicke Falstaff läßt sich täuschen von der übertriebenen Höflichkeit der Quickly. Und diese ist nicht nur Dienerin sondern auch Vertraute der Alice. Eine Übersetzung ins Schwedische hat damals Ingemar gemacht.

Das Schloß Kronovall im südostlichsten Schweden (Österlen, Schonen).
Erik Sparre am Flügel seines Herzens. (Ferdinand Blüthner, Leipzig).
Gräfin Angelica und Graf Erik Sparre von und zu Kronovall.
Erik erklärt seine Rolle als Konservator und auch Gärtner des französischen Gartens (eingerichtet um 1850) zu Kronovall. Foto: Astrid Haugland, 2012.

Bis 1991 war das Schloß Kronovall im Besitz der Adelsfamilie Sparre. Es folgte eine Schenkung an Riddarhuset. Erik und Angelica Sparre bewohnen noch einen Teil des Schlosses. Heute steht das Gebäude unter Verwaltung von “Åkesson vin AB” und ist Restaurant mit Übernachtungsmöglichkeit.


Wie immer beim Blog    vivaopera.se    stehen die behandelten Tonträger den Abonnenten unseres Nachrichtenblattes zür Verfügung gratis und franko als BD-R audio. Privates Geschenk der Redaktion.

In diesem Falle kann man erhalten:

  1. Berg: Wozzeck Maderna Jurinac, (1h46) Hamburg 1970 DVD-R
  2. R. Strauss: Vier letzte Lieder Jurinac, (20m) Busch Stockholm 1951 CD-R
  3. Mozart: Idomeneo engl. Radio (510628) Busch Jurinac Nilsson (2h18½) DVD-R audio
  4. R. Strauss: ”Der Rosenkavalier” (3h16) Erich Kleiber 1954 (mono) DVD-R audio
  5. SVT2 120125 Erik Sparre Kronovall 14 Minuten DVD-R

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